Krise der Landwirtschaft
Wenn ein armes Land wie Madagaskar von Naturkatastrophen gebeutelt wird, sind die Folgen noch Jahre später spürbar. Auch weil dem Land die finanziellen Mittel fehlen Folgeerscheinungen beizukommen. Hunger und zerstörte Landstriche in verheerendem Ausmaß sind die Konsequenz einer der größten Heuschreckenplagen, die das Land je heimgesucht hat.
Als im Februar 2013 der Zyklon Haruna im Süd-Westen des Landes weitreichende
Überflutungen in den Küstengebieten verursachte, schuf er zugleich ideale Bedingungen unter denen sich eine der schlimmsten Insektenplagen der letzten Jahre ausbreiten konnte. Gerade der Süden des Landes leidet oftmals unter langanhaltenden Dürren und Wirbelstürmen, die die Lebensbedingungen der Menschen besonders erschweren: Fast 90% der Bevölkerung leben hier sehr weit unter der Armutsgrenze. Da die Landwirtschaft gerade in diesen ärmlichen Gebieten die Überlebensgrundlage der Bevölkerung auf Madagaskar bildet, leiden die ohnehin schon Ärmsten des Landes am meisten unter den Folgen der Heuschreckenplage. 13 Millionen Menschen, also mehr als die Hälfte der Einwohner, bestreiten ihren Lebensunterhalt direkt oder indirekt mit Landwirtschaft und sehen ihre Existenz immer wieder durch ungünstige Wetterbedingungen und Umwelt- und Klimakatastrophen bedroht. Die letzte große Heuschreckenplage war für Madagaskars Bauern ein besonders einschneidendes Erlebnis: Bereits im Winter, also zu den ungünstigsten Bedingungen, wurden die Heuschrecken zu einem Problem, dem die Bauern mit ihren einfachen Mitteln nicht beikommen konnten. Binnen kürzester Zeit breiteten sie sich über dem Ackerland aus und fielen in großen Schwärmen über jegliche Nutzpflanzen her. Sobald eine Dichte von mehreren Tausend ausgewachsenen Tieren pro Hektar überschritten wird, verwandeln sich die Insekten in mobile Schwärme. Aus diesem Grund spricht man gemeinhin auch von Wanderheuschrecken. Diese Migrationen sind zum Überleben der Art notwendig, führen aber auch dazu, dass ökologisch komplementäre Bereiche in kaum zu kontrollierenden Maßen von den Insekten besiedelt und für die Landwirtschaft unbrauchbar gemacht werden. Bereits in den ersten Monaten der Heuschreckenplage waren die Schwärme so dicht, dass der Himmel stundenlang verdunkelt blieb.
Die Heuschreckenplage 2013/14 – Ausmaße der Krise
Bereits ein einziger Schwarm besteht aus mehreren Millionen Tieren, die sich unter den besonders günstigen klimatischen Bedingungen rasend schnell vermehren. Die Temperaturen um 25°C und die mäßig feuchte Umgebung der Savanne (weniger als 100 mm Niederschlag pro Monat) liefern alle Bedingungen für einen beschleunigten Lebenszyklus der ungeliebten Insekten. Gerade in diesen warmen Savannengebieten bleibt eine embryonale Pause im Reproduktionszyklus aus, sodass die Schwärme laufend größer werden und sich letztlich in viele weitere teilen. Die Wanderheuschrecken ernähren sich in erster Linie von Gräsern. Damit steht auch Getreide auf dem Speiseplan der Tiere. Über die Reisfelder der Madagassen fallen sie somit nur allzu gern her. Ein einziger Schwarm kann bis zu 100.000 Tonnen Grünfutter pro Tag abfressen und zieht weiter, sobald das Gebiet die Insekten nicht mehr ernähren kann. Das Land ist dann für jegliche landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar. Dank ihrer starken Flügel sind Wanderheuschrecken extrem mobil und bewältigen riesige Distanzen. Sie rasten, wenn sie ein Gebiet gefunden haben, das ihnen ebenso gute Bedingungen für die Reproduktion liefert und legen dort ihre Eier ab. Die Larven schlüpfen unter hoher Luftfeuchtigkeit und sind nach nur etwa eineinhalb Monaten geschlechtsreif. Gerade in der Regenzeit ist die Vermehrung der Insekten somit ohne teure Insektizide nicht einzudämmen. Während der letzten großen Wanderheuschreckenplage 2013/2014 bevölkerten die Schädlinge innerhalb kürzester Zeit weit über die Hälfte der Insel. Sie zerstörten nicht nur die Felder im ärmlichen Süden des Landes, sondern breiteten sich sogar auf dem Hochland und bis in die Vororte der Hauptstadt Antananarivo aus.
Den Heuschrecken beikommen. Nur wie?
Unbehandelt kann eine Heuschreckenplage mehr als zehn Jahre andauern. Dabei dehnen sich die von den Schädlingen besiedelten Gebiete jedes Jahr durch die ständige Erhöhung der Bestände an Insekten aus. Nutzpflanzen und Viehweiden werden dauerhaft unproduktiv und die Lebensgrundlage der Bevölkerung in Madagaskar, einem der ärmsten Länder der Welt, ist ernsthaft bedroht. 60% des Landes waren bereits 2013 von der Invasion der Heuschrecken betroffen. In solchen Krisensituation sind sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung des Landes überfordert. Da die Mittel für eine erfolgreiche Bekämpfung der Schädlinge fehlen, bleibt den Menschen nichts anderes übrig als zu versuchen die Heuschrecken mit Feuer und Rauch zu vertreiben. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist nur mäßig: Trotz aller Bemühungen machen die Insekten innerhalb weniger Minuten die Arbeit eines Jahres zunichte. Durch die zerstörte Ernte, fehlt es den Familien an Nahrung und auch über die Viehweiden fallen die Heuschrecken gnadenlos her. Wo einst Reis oder Maniok getrocknet wurde, trocknen jetzt Heuschrecken, die die Bevölkerung mit primitiven Mitteln fangen, trocknen und anschließend verspeisen. Insekten als Nahrung zu verwerten, ist in so großen Maß eher eine Notlösung, da andere Möglichkeiten des Nahrungserwerbs fehlen. Den Verlust der Felder und Weideflächen kann das nicht aufwiegen.
Um den Heuschrecken dauerhaft beizukommen, braucht Madagaskar die Unterstützung der westlichen Welt. Leider fehlt in Europa und den USA das Bewusstsein für die verheerende Situation auf Afrikas größter Insel. Zudem ist bei der Wahl der Mittel Vorsicht geboten. Ohne Hubschraubereinsätze und den Einsatz chemischer Schadstoffe ist einer Heuschreckenplage gemeinhin nicht beizukommen. Mit einer Bereitstellung dieser Mittel ist das Problem aber nicht gelöst. Es muss außerdem umfassende Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung geleistet werden, die im Umgang mit Insektiziden nicht geschult ist und diese zu unbedarft handhabt. Im schlimmsten Fall und ohne ausreichende Aufklärung kann man somit zwar den Heuschrecken beikommen, riskiert aber die Gesundheit der Bevölkerung. Madagaskar allein kann sich solchen Problemen kaum stellen, der Inselstaat braucht Hilfe aus anderen Ländern.