Die Unabhängigkeit Madagaskars
Eine Zeit nach der Unterdrückung
Madagaskar war über viele Jahre hinweg ein Land der Unterdrückten gewesen. Sklavenhandel, grausame Merina-Könige und später die französischen Kolonialmächte haben diesem Land ihren Stempel aufgedrückt und tiefe Wunden in die Seele dieses Landes gegraben. Als Madagaskar am 26. Juni 1960 den Status einer unabhängigen Republik unter dem sozialdemokratischen Präsidenten Philibert Tsiranana erhielt, war dies dementsprechend ein besonders großer Augenblick. Viele Veränderungen kamen nun auf die Madagassen zu, wobei dies allerdings in einigen Fällen noch längst nicht bedeutete, dass sich das Land wirklich von der Vergangenheit abwendete und in eine neue und positive Zukunft blickte. Auch die ersten Phasen der Unabhängigkeit brachten für Madagaskar zahlreiche Fallstricke und Stolpersteine mit sich. Worum genau es sich hierbei handelte und welche Lehren daraus für die Zukunft gezogen werden konnten, wird nachfolgend vorgestellt.
Die erste Republik (1960 – 1972)
Die erste Republik unter dem Präsidenten Tsiranana dachte noch nicht daran, sich großartig von den französischen Traditionen abzuwenden. Es wurde eine antikommunistische Regierung nach französischem Vorbild gebildet und die meisten noch auf der Insel lebenden wohlhabenden Franzosen waren mit dieser Entwicklung mehr als einverstanden. So kam es dann auch dass die politische Machtausübung zu einer Wiederwahl von Präsident Tsiranana im Jahr 1965 kam. Tsiranana repräsentierte eine Art Vaterfigur, was zur damaligen Zeit bei vielen Nachbarstaaten auf dem afrikanischen Kontinent ähnlich war. Vetternwirtschaft und Korruption innerhalb der Regierung konnten dank des teilweise blinden Vertrauens in die gutmütige Vaterfigur von Tsiranana über lange Strecken hinweg geheim gehalten werden. Die Opposition war zwar präsent, aufgrund der unterschiedlichen Motivationen und Ziele aber stark zersplittert und somit mehr oder weniger machtlos. Die Folgen von Tsirananas korrupter Regierungsweise bekamen vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten Madagaskars zu spüren, die durch die schlechte wirtschaftliche Lage immer wieder in Versorgungsengpässe kamen. Hungersnöte und Ausbrüche von Epidemien, die jetzt keine Seltenheit waren, hatte es zuvor nicht einmal unter der Herrschaft der französischen Kolonialmächte gegeben. Linksgerichtete Proteste und zahlreiche Aufstände, die zunächst noch blutig niedergeschlagen wurden, waren die Folge. Das Vertrauen in die Regierung war verloren.
Militärdiktatur (1971 – 1975)
Als die Aufstände immer größere Ausmaße annahmen, wurde die Regierung der Insel im Jahr 1972 durch einen Militärputsch entmachtet. General Ramanantsoa verhängte das Kriegsrecht über die Insel, drängte den Premierminister zum Rücktritt und sorgte für eine Auflösung der Nationalversammlung. Für die kommenden drei Jahre sollte Madagaskar nun durch eine Militärdiktatur regiert werden. Durch diese Entwicklung veränderte sich die Außenpolitik des Landes nahezu dramatisch: Die Verbindungen zu Frankreich wurden immer stärker gekappt, neue Verbindungen zur UdSSR hingegen geschaffen. Wirtschaftlich ging es steil bergab und die chaotischen Zustände im Land verschlimmerten sich. Im Jahr 1975 wurden die Regierungsgeschäfte an den damaligen Innenminister Richard Ratsimandrava übergeben, der jedoch nur wenige Tage später in Folge einer Verschwörung auf offener Straße erschossen wurde. Gilles Andriamahzoa und sein Revolutionsrat kamen nun an die Macht. Sie hatten sich fest vorgenommen den bisherigen Abwärtskurs zu ändern, neue demokratische Strukturen einzuführen und auch die wirtschaftliche Situation zu verändern, jedoch wurden sie durch einen Militärputsch daran gehindert. Der einstmalige Außenminister, der Marineadmiral Didier Ratsiraka, übernahm nun die Macht.
Die zweite Republik (1975 – 1991)
Auch wenn Didier Ratsiraka durch einen Militärputsch in Madagaskar an die Macht gekommen war, wurde er nur kurze Zeit später in einem Volksreferendum eindeutig zum Staatpräsidenten von Madagaskar gewählt. In Folge dieses Referendums bekamen die Madagassen eine neue Verfassung, die nun ganz im Gegensatz zu früheren Verhältnissen marxistisch-maoistisch orientiert war. Ratsiraka stand im engen Kontakt zu Diktator Kim-Il-Sung und ließ sich von diesem in seiner Regierungsführung stark beeinflussen. Der Kontakt zu den Franzosen wurde unter Ratsiraka komplett abgebrochen, Madagaskar trat aus der französischen Währungsunion aus und die Industriebetriebe auf der Insel wurden verstaatlicht.
Während sich die Insel aus außenpolitischer Sicht immer stärker isolierte, herrschten im Innern deutliche Unruhen aufgrund der wirtschaftlichen Unbeständigkeit. Die Entwicklungen auf dem Weltmarkt hatten auch auf Madagaskar zu deutlichen Umbrüchen geführt: Die einstigen Exportschlager wie Vanille, Kokos oder Nelken wurden plötzlich im Preis stark gedrückt, während die Ölpreise im Gegenzug dramatisch anstiegen. Dies war der Startschuss für ein neues wirtschaftliches System auf Madagaskar, das sich schon nach kurzer Zeit als überaus existenzielle Errungenschaft erweisen sollte. Es handelt sich hierbei um das sogenannte Fokonolona-System, eine Form der Selbstverwaltung, bei denen klassische Formen der Dorfadministration mit Elementen aus dem Marxismus kombiniert wurden. Die Insel Madagaskar wurde in mehr als 11.000 Fokonolona aufgeteilt und jeder dieser Distrikte wurde mit einem Fokontany, einer Art Bürgermeister, ausgestattet. Auch heute noch sind die Spuren dieser Selbstverwaltungen auf Madagaskar zu entdecken: Die Häuser der Fokotany verfügen über ein blaues Dach und stechen dementsprechend überdeutlich aus der Masse hervor.
Bei den nächsten Wahlen im Jahr 1977 konnte die Partei von Präsident Ratsiraka einen haushohen Sieg einfahren, was allerdings niemanden besonders verwundert haben dürfte, weil dessen Partei AREMA die einzige war, die sich zur Wahl gestellt hatte. Der Unmut in der Bevölkerung wuchs: Epidemien, Seuchen, finanzielle Probleme, Hungersnöte und Naturkatastrophen bescherten Madagaskar eine Krise nach der nächsten und trotzdem wurde Ratsiraka auch im Jahr 1982 bei den nächsten Wahlen wieder in seinem Amt bestätigt. Immer wieder wurde nun außerdem davon berichtet, dass der Präsident und seine treusten Anhänger sich unrechtmäßig an den Bodenschätzen des Landes bereicherten: Sie verkauften wertvolle Rohstoffe und Edelsteine auf eigene Rechnung und schafften das damit verdiente Geld auf verschiedene Konten ins Ausland. Es verwundert deshalb nicht, dass Ratsiraka, der Präsident eines der ärmsten Länder der Welt, zu Beginn der 80er Jahre unmissverständlich zu den reichsten Menschen der Welt zählte. Im Laufe der Zeit ließen sich viele Inder, Pakistani und auch Komorer auf Madagaskar nieder. Da sie sich als gute Geschäftsmänner erwiesen und einen nicht ganz unwesentlichen Teil zum wirtschaftlichen Fortbestand der Insel beisteuerten, erwuchs der Neid in der indigenen Bevölkerung und immer wieder kam es zu brutalen Übergriffen. Bei den nächsten Wahlen im Jahr 1989 musste die AREMA um Präsident Ratsiraka ein paar herbe Verluste einstecken, konnte sich die Mehrheit der Stimmen aber trotzdem sichern. Manipulationsvorwürfe wurden immer lauter und der Präsident geriet immer stärker unter Druck. Dies mochte Ratsiraka dazu bewogen haben die Auflagen der Weltbank und der IWF anzunehmen und die wirtschaftliche Liberalisierung seines Landes voranzutreiben. Dies konnte aber die zunehmenden Unruhen auf Seiten der immer stärker werdenden Opposition nicht besänftigen und es kam immer wieder zu Streiks und großen Massendemonstrationen. Im Jahr 1991 versammelten sich mehrere Hunderttausend Menschen zu einer friedlichen Demonstration, um ihre Stimme für den Machtwechsel ertönen zu lassen. Der friedliche Zug der Menschen wurde allerdings blutig niedergeschlagen: Schüsse und Handgranaten, die aus einem Hubschrauber geworfen worden waren sorgten für den Tod hunderter Menschen. Infolgedessen wurde Ratsiraka seiner Befugnisse enthoben. Zwar war er noch bis zum Jahr 1993 offiziell Präsident von Madagaskar, bekleidete dieses Amt aber nur noch aus formeller Sicht. Anschließend ging er ins Exil nach Frankreich.
Die dritte Republik (1993 – 2010)
Madagaskars dritter Versuch eine freie, unabhängige und demokratisch stabile Republik zu werden, begann im Jahr 1993 als die nächsten freien Wahlen Albert Zafy aus Ambilobe zum Sieger erklärten. Zafy stammte aus dem Norden Madagaskars und war vor seiner politischen Karriere Herzchirurg gewesen. Er hatte auch den Vorsitz in der Übergangsregierung Forces Vives gehabt. Die Madagassen setzten großen Hoffnungen in ihren neuen Präsidenten, wurden aber erneut bitter enttäuscht. Zum einen zeigte sich die politische Unerfahrenheit Zafys schon nach kurzer Zeit im Amt und zum anderen missbrauchte er seine Befugnisse und stellte sich als überaus korrupt heraus. So kam es bereits im Jahr 1996 zu einem Misstrauensvotum gegenüber der Regierung und Zafy wurde abgewählt. Bei den darauffolgenden Neuwahlen stellte sich auch der vormalige Präsident Didier Ratsiraka zur Wahl, der zuvor aus seinem selbstgewählten Exil zurück nach Madagaskar gekommen war. Es gelang ihm das Vertrauen der Bevölkerung zurückzuerlangen und er wurde erneut zum Staatspräsidenten gewählt. Schon kurze Zeit später, im Jahr 1998 folgte dann wieder ein Misstrauensvotum, welches Ratsiraka aber für sich entscheiden könnte. Anschließend ließ er die Verfassung von Madagaskar ändern, um dadurch noch mehr Macht zu bekommen. Er plante nun eine Republik im marxistisch-ökologischen Sinne zu etablieren. Auch in den nächsten Wahlen von 2001 konnte sich Ratsiraka mit seiner Partei wieder einmal behaupten, allerdings wurden nun wieder Gerüchte über Wahlmanipulationen und Betrug laut die zu erneuten Unruhen in der Bevölkerung führten. In Zuge dieser Unruhen setzte sich Marc Ravalomanana als Oppositionsführer an die Spitze der Regierung. Er wusste die Streitkräfte hinter sich und untermauerte seine Machtübernahme, indem er Ratsiraka zurück in sein französisches Exil verbannte. Ravalomanana war zwar außer der Reihe an die Macht gelangt, schaffte es aber schnell das Vertrauen der Madagassen für sich zu gewinnen. Bei den Wahlen im Jahr 20006 wurde er in seinem Amt bestätigt. Auch die Regierungen anderer Länder erkannten Ravalomanana als demokratischen Präsidenten an. Für die Handelsbeziehungen und die Wirtschaft auf Madagaskar war dies ein großer Erfolg.
Doch nur kurze Zeit später wendete sich das Blatt erneut, als ein regierungskritischer Fernsehsender geschlossen wurde, weil er ein Interview mit dem verbannten Diktator Ratsiraka ausgestrahlt hatte. Mehrere Demonstrationen, in deren Folge es zu Übergriffen und Plünderungen kam, führten zu einigen dramatischen Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen immer wieder auch scharfe Geschütze eingesetzt wurden. Insgesamt 120 Menschen mussten bei dieser Welle des Aufbegehrens gegen die Regierung ihr Leben lassen. Die Proteste sollten allerdings nur der Anfang eines neuen Umwälzungsprozesses sein, denn nun wurden zahlreiche Vorwürfe laut, dass Ravalomanana sich angeblich an Staatseigentum zu bereichern versucht hätte. Die große Stimme der Proteste gegen den Präsident Ravalomanana, kam aus der Kehle von Andry Rajoelina, der eigentlich amtierender Bürgermeister der Stadt Antananarivo war. Rajoelina war Medienunternehmer und ehemaliger Discjockey. Zudem gehörte ihm der Fernsehsender, der das regierungskritische Interview mit Ratsiraka ausgestrahlt hatte. So konnte von Beginn an davon ausgegangen werden, dass Rajoelina auch ein persönliches Motiv gegen Ravalomanana vorzubringen hatte. Durch die immer stärker werdenden Unruhen sah sich das Militär erneut gezwungen einzugreifen.
Staatspräsident Ravalomanana übertrug seine Befugnisse daraufhin an das Militär und flüchtete anschließend nach Süd Afrika. Der Weg für Rajoelina war somit frei. Der 34-Jährige war laut Verfassung zwar eigentlich zu jung, um das Amt des Präsidenten anzutreten, aber dies interessierte zum damaligen Zeitpunkt nur die wenigsten. Im März 2009 wurde Rajoelina somit zum neuen Staatspräsidenten. Für die wirtschaftliche Lage auf Madagaskar hatte dies deutliche Konsequenzen. Weil die internationalen Mächte Rajoelina nicht als demokratisch gewählten Präsidenten ansahen, brachen sie ihre Handelsbeziehungen zu Madagaskar weitestgehend ab und leiteten eine Isolation der Insel ein. In vielen verschiedenen Sektoren hatte dies gravierende Folgen: Wichtige Hilfsorganisationen zogen ihre Unterstützung zurück, Touristen wurden von ihren Auswärtigen Ämtern vor einer Reise nach Madagaskar gewarnt und die Wirtschaft auf der Insel stagnierte noch stärker. Auch beim Thema Umweltschutz mussten deutliche negative Konsequenzen festgestellt werden: Verschiedene Nationalparks waren nun ohne feste Bewachung und zahlreiche Banden und Wilderer machten sich dies zunutze, um bedrohte Tierarten zu jagen oder Edelhölzer zu schlagen. Das Ausland wurde nun nur noch durch Negativschlagzeilen auf die Entwicklungen in Madagaskar aufmerksam. Immer wieder wurde von drohenden Hungersnöten sowie einem unmittelbar bevorstehenden Komplettzusammenbruch von Gesundheits- und Bildungssystem. Mit diesem tragischen Ende der dritten Republik auf Madagaskar, die mit der Präsidentschaft von Ravalomanana eigentlich so positiv begonnen hatten, endet wieder eines der düsteren Kapitel in der Geschichte des Landes Madagaskar.