Pangalan Kanal, die längste Wasserstraße der Welt
Die vielfältige Geschichte dieses pharaonischen Bauwerkes
Ich möchte den Hinweis eines guten Freundes zum Anlass nehmen, etwas über den berühmten „Canal des Pangalanes“ zu schreiben. Zwar stimme ich meinem Freund in Fragen zur roten Insel fast immer zu, wenn er jedoch sagt, dass dieses „pharaonische Bauwerk“ in Vergessenheit geraten ist, irrt er sich! Zahlreiche französische Quellen berichten vom Canal des Pangalanes und auch an vielfarbigen Geschichten und okkulten Überlieferungen der Einheimischen mangelt es nicht. In deutscher Sprache hingegen findet man nur wenig Literatur zu dieser beeindruckenden Wasserstraße. Um so lohnender ist eine Erkundung dieses geheimnisumwitterten Gebietes. Vor allem sportlich Interessierte haben in den letzten Jahren die von örtlichen Hoteliers und Touristikveranstaltern organisierten Bootstouren auf einzelnen Abschnitten des Kanals wahrgenommen. Auch wenn der Kanal mit den Jahren stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, lohnt sich beispielsweise eine Bootstour durch den Bergnebelwald.
Die längste Wasserstraße der Welt
Der Pangalan Kanal ist der längste und gleichzeitig wohl unbekannteste Kanal der Welt. Während sich seine berühmten Vettern wie der Suez Kanal über 165km und der Panama Kanal über 80km erstreckt, misst der Pangalanes eine stolze Länge von 645km. Sein nördlicher Endpunkt ist Tamatáve oder Toamasina, die große Hafenstadt an der Ostküste. Der südlichste Punkt ist die Ortschaft Farafangana, zwar ebenfalls am Meer, aber wie ein Großteil der Küstenorte ohne wesentliche Hafenfunktion. Der Kanal verläuft parallel zur Küstenlinie und die Entfernung zum Meer beträgt teilweise nur 100 Meter. An der fruchtbaren Ostküste Madagaskars folgt er geschickt dem natürlichen Verlauf der Seen und Flüsse, die von den waldreichen Höhenlagen reichlich mit Wasser gespeist werden. Durch künstlich angelegte Stichkanäle stößt er dabei jeweils zur nächsten – stehenden oder beweglichen – Wasseransammlung vor. Die hier zahlreich lebenden Küstenvölker Madagaskars betreiben seit jeher intensive Landwirtschaft. Vor allem die ehemals wertvollen „Kolonialwaren“ Kaffee, Kakao, Vanille, Kokos, Gewürze werden noch heute hier angebaut und können zum Beispiel bei einer 4-Tages-Tour ins Herz der Sava Region erworben werden. Da es auf Madagaskar nur wenig ausreichend, befestigte Straßen gibt, ist der Kanal noch heute eine wichtige Verkehrsverbindung und ermöglicht den Menschen überhaupt erst, ihre Waren nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern als Überschuss für den Handel bereitzustellen. Gebaut wurde der Canal des Pangalanes in der Zeit der Kolonisation durch Frankreich. Frankreich hatte während seiner Fremdherrschaft wesentlichen Anteil am Ausbau der Infrastruktur auf der Insel. Grob lassen sich dabei drei Phasen unterscheiden.
Die erste Phase: Annexion und „Befriedung“ des Landes und der Ausbau des Pangalan Kanal
Als das französische Parlament Ende des 19. Jahrhunderts die Annexion Madagaskars beschließt, beginnen die Besatzer zunächst das Land zu „befrieden“. Die vorherigen französisch-madagassischen Kriege waren seitens der Franzosen vor allem durch brutale militärische Gewalt gekennzeichnet. Dass die Madagassen den Waffen der Europäer kaum etwas entgegenzusetzen wussten, beweist der Niedergang der Merina-Monarchie. Obwohl die Madagassen keinen geschlossenen Widerstand organisieren konnten, dauerte die „Befriedung“ des Landes ganze acht Jahre. Acht Jahre, in denen der damalige Gouverneur Gallieni mit grausamer Härte gegen den Protest der Madagassen gegenüber ihren Kolonialherren vorging. Unzählige Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht und bis heute liegt die genaue Anzahl der indigenen Madagassen, die der „Befriedung“ des Landes zum Opfer fielen im Dunkeln. Schätzungen gehen von mehr als 200.000 Todesopfern aus.
Da der große Einsatz von Militär und kolonialer Administration immense Kosten verursachte, suchten die Besatzer schnell nach Möglichkeiten wirtschaftlichen Nutzen aus der Kolonie zu ziehen. Da die fruchtbare Ostküstenregion mit ihren oben bereits erwähnten natürlichen Ressourcen dafür dringend Anbindung an eine Infrastruktur brauchte, erschien ein Kanal, die einfachste und sinnvollste Lösung zu sein, die gleich mehreren Interessen der Besatzer entgegenkam: Zum einen konnten Güter und Waren entlang der Ostküste verschifft werden und zum anderen bestand durch die Wasserstraße die Möglichkeit militärische Kontingente rasch verlegen zu können, um die widerspenstigen Küstenbewohner mit Gewalt oder Steuerauflagen niederzuringen. Der Kanal ist daher aus heutiger Sicht das früheste Zeugnis der wirtschaftlichen Ausbeutung Madagaskars. Mit gewaltigem Aufwand zwischen 1896 und 1904 realisiert, stellt der Kanal das bis dahin kostspieligste französische Kolonialprojekt dar und war sogar erheblich teurer als die berühmte „Yünnan- Eisenbahn“ in Indochina, welche immerhin 20 Millionen Goldfranc gekostet hatte. Das Ausschachten des feuchten, unwegsamen Geländes forderte Heerscharen von Zwangsarbeitern und unzählige Todesopfer.
Die zweite Phase: Der Bau der Eisenbahn
Während des Ersten Weltkrieges richtete Frankreich seinen Blick zunächst von den Kolonien ab und stattdessen auf die Kriegsschauplätze Europas. Mit dem Ende des Weltkrieges und den Reparationszahlungen, die Frankreich durch den Versailler Vertrag zugesichert wurden, konnte die französische Regierung erneut beginnen seinen administrativen Einfluss auf die Kolonie auszuweiten und wirtschaftlichen Nutzen aus den Kolonien in Übersee zu gewinnen. Der Bau der Eisenbahnlinien des Madagaskars fällt in diese zweite Phase: Die Bahnstrecke von Antananarivo nach Antsirabe verband die fruchtbare „Gemüsekammer“ Madagaskars mit der Hauptstadt, die fast zeitgleich erbaute Trasse von Antananarivo nach Tamatave sicherte den durchgehenden Transport vom zentralen Hochland zum wichtigsten Hafen der Ostküste. Mit der Bahnstrecke, die sich von den damals erschlossenen Chrom- und Grafitvorkommen nordwestlich des Lac Alaotra an diesem und der dazugehörenden „Reiskammer“ Madagaskars vorbei zur Hauptstadt genauer gesagt zur Küste erstreckte, war dazu ein wichtiger Verkehrsweg für Reis und industriell benötigte Rohstoffe geschaffen worden. Schließlich band auch die in den 20er-Jahren gebaute Bahnstrecke von Fianarantsoa nach Manakara das Hochland an die Küste – und vor allem den Kanal – an. Die kolonialen Waren konnten somit schnell transportiert und an den Häfen umgeschlagen werden. Erst mit der Vollendung der Bahnlinien konnte der Pangalan Kanal somit jene ökonomische Dynamik entfalten, die ihm seine Erbauer zugedacht hatten.
Die dritte Phase: 1940-1960
Nachdem Frankreich Deutschland während des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1940 vorerst unterlegen war, bildete sich das sogenannte „Vichy-Regime“, das sich Deutschland gegenüber loyal erklärte. Auch die auf Madagaskar stationierten Truppen verpflichteten sich Vichy, sodass auch die Kolonie von englischen See- und Luftstreitkräften angegriffen wurde. 1940 tobten um die Stadt Diego-Suarez erbitterte Luft-Artillerie- und Seegefechte, ehe die Vichy-treuen Truppen schließlich kapitulierten. Die Briten übergaben die Insel daraughin der Regierung des „freien Frankreich“ unter Charles de Gaulle. Dessen Nachkriegsregierung ging ab 1945 daran, die dritte Phase der Kolonisation einzuläuten: Es waren jene Jahre, in denen die vielen Flugplätze, Rollbahnen und andere avionischen Einrichtungen ihren Anfang nahmen. Neben militärischen Erwägungen standen hierbei auch die Bedürfnisse der zahlreichen, französischen Siedler im Lande im Mittelpunkt der Planungen. 1960 schließlich erlangte Madagaskar seine lang ersehnte Unabhängigkeit.
Der Pangalan Kanal heute
Über 50 Jahre sind seit der Unabhängigkeit Madagaskars vergangen, und vieles von der kolonialen Infrastruktur im Land ist nur noch in kärglichen Überresten vorhanden. Immerhin wird versucht die in der 2. und 3. Phase der Kolonialgeschichte angelegten „Routes Nationales“, die wichtigsten Straßenverbindungen, mit ausländischer Hilfe einigermaßen Instand zu halten und zum Teil sogar zu erneuern. Die Zahl der noch regelmäßig genutzten Flugplätze hingegen ist eher rückläufig. Das Bahnnetz stagniert ebenfalls: Lediglich die klapprige „FCE“ von Fianarantsoa nach Manakara fristet noch ihr bedenkliches Dasein. Die Bahnverbindung zwischen Antananarivo nach Antsirabe ist zwar erneuert und betriebsbereit, die Hoffnungen diese wichtige Trasse wieder in Betrieb zu nehmen, scheiterte jedoch 2009 mit der Machtübernahme des Putschisten Rajoelina und der darauf beginnenden Staatskrise 2009.
Ebenso ist auf der alten Trasse von Antananarivo nach Tamatave kein oder nur bedingt Personenverkehr möglich: Sehr selten fahren Güterzüge von der Hauptstadt bis zur Küste. Der Personenverkehr beginnt erst ab Moramanga. Die Eisenbahnlinie von Moramanga bis nach Ambatondrazaka am Lac Alaotra ist zwar zweitweilig in Betrieb, jedoch ist es auch hier nur eine Frage der Zeit, bis auch dieses Verkehrsmittel durch korruptionsbedingte Unterfinanzierung eingestellt wird. Entlang der RN7 kann aber noch heute eine Zugfahrt nach Manakara unternommen werden, die den Fahrgästen den Blick auf atemberaubende Landschaften garantiert.
Auch der Pangalan Kanal bildet nach diesen Beispielen des Verfalls keine Ausnahme: Durch die heftigen Wetterumschwünge, Sturmfluten, Überschwemmungen und anderen Umwelteinflüssen, war der Verlauf des „Pangalanes“ seinem Wesen nach nicht immer einfach. Lange Zeit wurde aber versucht zumindest die Stichkanäle freizuhalten und den Verkehr auf dem Wasser so weitgehend zu ermöglichen. Mittlerweile machen sich ernste Anzeichen von Verlandung dieses großartigen Bauwerks bemerkbar: Ein Durchkommen bis Farafangana ist auf dem Kanal schon seit Jahren nicht mehr möglich, auch im nördlichen Teil ist er nur noch auf kleinen Teilen befahrbar, die meisten Zwischenstücke sind unpassierbar geworden. Der längste Kanal der Welt, das einstige Symbol von Zivilisation und wirtschaftlicher Effizienz, versandet in der tropischen Stagnation.